HYBRIS / Referenzen


Menschentiere

Nach dem gemeinsam mit Frank Wolf so erfolgreich 2013/14 realisierten Projekt „Ypern mon amour“, das sich in Photomontagen und Skulpturen mit der Bild-Propaganda im Ersten Weltkrieg auseinandersetzte, legt Harald Reusmann mit „Hybris“ nun eine neue, umfangreiche Arbeit vor.

„Hybris“ fragt eindringlich nach dem Zusammenhang von menschlichem Verhalten im Krieg, nach der Auswirkung der Tatsache, in eine Uniform gesteckt worden zu sein, auf den menschlichen Charakter und verbindet das alles mit der Verbildlichung in Tiergestalt. Das erinnert zunächst an große Illustratoren wie Grandville oder Gustave Doré, geht aber doch weit über die Tiere in Menschengestalt in den klassischen Fabeln der Weltliteratur hinaus. Denn das harmlos Wirkende entpuppt sich schnell als derart ernsthaft, dass einem das Lachen oder Schmunzeln im Halse stecken bleibt.

Harald Reusmann bezieht sich nämlich konkret auf historische Vorlagen – erneut – der Bildpropaganda der Zeit vor und während des Ersten Weltkrieges, in der der Feind von allen Parteien visuell  und verbal zum Tier erniedrigt wurde, um so den eigenen Kriegseinsatz zu rechtfertigen. Harald Reusmann hinterfragt somit diese Vorgehensweise, die keinesfalls auf den nun 100 Jahre zurück liegenden Krieg beschränkt blieb, sondern auch in der aktuellen Propaganda seine Fortsetzung findet.

Doch damit nicht genug, denn Reusmann kontrastiert seine Bilder mit den Erfahrungswelten der Betroffenen, wie sie in französischen und deutschen Postkarten aus dem Ersten Weltkrieg überliefert sind. Diese Postkarten, als Faksimiles den Tiermotiven hinterlegt und in Transkription und Übersetzung beigegeben, bilden die Folie, auf die und gegen die die zu Tieren verfremdeten Krieger projiziert werden. Zugleich aber offenbart sich in den Texten der Postkarten die buchstäbliche Sprachlosigkeit der Soldaten und der daheimgebliebenen Zivilisten, die eben gerade nicht über die Schrecken berichten, sondern in Alltäglichem verharren.

Harald Reusmann stellt unser Bild des Krieges somit mehrfach in Frage. Er verwandelt Soldaten in Tiere, er verweist auf die Entmenschlichung im Krieg, und er betont die Sprachlosigkeit angesichts des Schreckens. Und der Betrachter muss schon genau hinsehen, um den – eine weitere Ebene! – Humor und Sarkasmus zu entdecken, der sich im Detail der Bilder Harald Reusmanns versteckt. Wodurch alles wieder ins Wanken gerät und der Künstler sich selbst und sein Werk kommentiert.

In Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ resümiert der Erzähler Paul Bäumer seine Erfahrung des industrialisierten Krieges angesichts von Trommelfeuer, Stellungskrieg, Angriff, der sich mit Gegenangriff ablöst: „Aus uns sind Menschentiere geworden“. Das ist der Kern, der Urgrund der Arbeit von Harald Reusmann, und er fragt den Betrachter, welche Schlüsse daraus gezogen wurden und zu ziehen sind und womit dieser Kern übertüncht wurde: Die Hybris, die diesen eindrucksvollen und komplexen Arbeiten ihren Titel gab.

 

Thomas F. Schneider, Erich Maria Remarque-Friedenszentrum Osnabrück


Sachbericht 2015 / Erich Maria Remarque- Friedenszentrum       Stadt und Universität Osnabrück (pdf- Datei 1,4 MB)

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Rede von Herrn Dr. Jens Martin anläßlich der Vernissage von HYBRIS im Erich Maria Remarque- Friedenszentrum am 18.08.2016

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, sie im Namen der Stadt Osnabrück zur Eröffnung der außerordentlich interessanten Ausstellung „Hybris“ begrüßen zu dürfen, und es ist mir eine außerordentliche Freude, den Künstler Harald Reusmann selbst – und den Hausherrn, Herrn Dr. Thomas Schneider unter uns zu wissen. – Ich begrüße Sie sehr herzlich!
Ich freue mich auch, Herrn Martin Siemsen begrüßen zu dürfen, der seitens des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums die Organisation vor Ort vorgenommen hat!
Die Ausstellung befasst sich in zahlreichen Werken mit dem menschlichen Verhalten im Krieg und bedient sich, das ist einer der vielen faszinierenden Aspekte, dabei einer eigenen Bildsprache, die Zitate aus der Kriegspropaganda des ersten Weltkrieges in neue
Zusammenhänge einfügt. Es wird die Frage aufgeworfen, wie sich das Tragen einer Uniform auf den Charakter des Uniformträgers auswirkt, wobei hier auf Uniformen auch des 19. Jahrhunderts zurückgegriffen wird. Menschen werden dabei nicht als Menschen,
sondern als Tiere dargestellt, genau so, wie es oft in der Kriegspropaganda vor 100 Jahren geschehen ist. Dem Kriegsgegner wurden dabei negativ belegte Tiere wie Schweine oder Affen zugeschrieben, während die eigene Opferrolle (z.B. misshandelte
Frauen, zermalmte Landstriche) ohne diesen Kunstgriff dargestellt wurde. – So vielschichtig ist diese Ausstellung gedacht! – Wenn ich sie denn richtig verstanden habe aus dem, was ich über sie bisher lesen oder sehen konnte…

Meine Damen und Herren, ich muss zugeben, dass es mir zunächst schwer gefallen ist, zur Vielschichtigkeit dieser Ausstellung Zugang zu finden. Und ob ich ihn nun gefunden habe, weiß ich nicht. Ich erwarte von der Ausstellung, dass sie ein paar Fragen beantwortet oder andere Denkansätze gegeben werden, über die ich nachdenken kann. -Deshalb habe ich eher Fragen formuliert und ein paar persönliche Anmerkungen. Die Ausstellung heißt „Hybris“. So leicht man sich dazu hinreißen lassen könnte, angesichts der Persönlichkeit z.B. Wilhelms II. zu sagen, dass seine Hybris, seine
anmaßende, selbstherrliche Wesensart, Auslöser oder gar Ursache des ersten Weltkrieges gewesen sei – so schnell kommen doch bei tieferem Nachdenken Zweifel. Wir wissen heute, dass viele der damaligen „Entscheidungsträger“, so auch Wilhelm II., bis zum Schluss hin und her gerissen waren zwischen Angst vor dem Krieg, dem Gedanken „Jetzt sind wir stark genug, jetzt müssen wir zuschlagen!“ und v.a. Misstrauen gegenüber den künftigen Kontrahenten, denen jederzeit der Beginn eines Krieges zugetraut wurde. Die Vorgeschichte des ersten Weltkrieges, die sich letztlich bis weit ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen lässt, zeigt zunächst, dass Krieg vor 100 Jahren noch in vielen Köpfen als ganz legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen verstanden wurde. Es bedurfte also keiner Hybris, um in den Krieg zu ziehen, sondern ganz kühler machtpolitischer Überlegungen, die z.T. übrigens eher aus dem Gefühl der Unterlegenheit entstanden. – Ursachen für den Weltkrieg waren eher in der Diplomatie zu suchen. Hier waren in mehreren Außenministerien meistens in zweiter, zuweilen auch in der ersten Reihe Männer (es waren durchweg Männer) unterwegs, deren Handeln geprägt war von Misstrauen, Nationalismus und dem Willen zur bewussten Manipulation. Die Herrscher und Staatsoberhäupter wurden zuweilen bewusst mit falschen oder verfälschten Informationen beliefert. – Meine Damen und Herren, ich möchte hier kein historisches Seminar abhalten (Sie haben Pech, ich bin Historiker…), aber ich empfehle die Lektüre des Buches „Die Schlafwandler“ von Christopher Clark, das die diplomatischen
Hintergründe dieser Zeit sehr lesbar darstellt. Meine Damen und Herren, als ich mir dann die Frage stellte, wo denn wirklich Hybris
gewirkt hat, merkte ich, dass diese Ausstellung heute genau auf den Punkt kommt (wenn ich sie denn richtig verstehe): Die Hybris lag der Propaganda zugrunde, die versuchte, z.T. erfolgreich, Hybris beim Betrachter oder Leser zu erzeugen. Die Kriegsbegeisterung, die weite Schichten u.a. der deutschen Gesellschaft 1914 erfasste, ist ein Symptom dieser Hybris, die ihren deutlichsten Ausdruck in dem später so blutig widerlegten Ausruf von 1914 fand „Weihnachten sind wir wieder zurück!“. – Was für ein blutiger Irrtum! Diese Hybris, die v.a. junge Soldaten erfasste, mag anfangs von der Uniform gesteigert worden sein. Sich selbst als Teil einer mächtigen, durch die Uniform verdeutlichten Einheit zu fühlen, mag in manchem jungen Mann Überheblichkeit ausgelöst haben. Ein Leutnant (bis vor wenigen Jahrzehnten ja übrigens noch regelmäßig mit dem Attribut „schmuck“ versehen) wird in seiner Uniform das Gefühl der Überlegenheit gespürt haben. Es gibt ja auch genügend Hinweise darauf, dass die einfachen Soldaten in den Schützengräben die
Überheblichkeit ihrer Vorgesetzten kritisiert haben. – Da mein Großvater, Jahrgang 1897, selbst an beiden Weltkriegen teilgenommen hat, erlaube ich mir allerdings den Einwand: Diese Hybris v.a. der einfachen Soldaten war schnell verflogen. Die Uniform scheint für meinen Großvater eher die Grundlage für das gewesen zu sein, was man heute als „Schützengraben-Sozialismus“ bezeichnet, also ein verstärktes Gefühl der Solidarität mit
allen Uniformierten, egal auf welcher Seite sie kämpften. Im Verlaufe des Krieges sind ja auch neben der vorherrschenden Brutalität mehrere Fußballspiele und gemeinsame Feiern von gegnerischen, uniformierten Soldaten belegt, das gemeinsame Nutzen einer Wasserstelle zweier Kriegsgegner ist ebenfalls belegt. – Es stellt sich also die Frage, ob eine Uniform tatsächlich den Charakter zu verändern vermag, oder ob sie nicht eher Charaktereigenschaften verstärkt oder erst hervorbringt. Das werden wir sicherlich nicht klären können, und auch ein psychologisches Seminar möchte ich hier nicht abhalten… –
Für den Adressaten von Kriegspropaganda, also die Daheimgebliebenen, wurde die Uniform allerdings definitiv als Propagandamittel eingesetzt, und hier ist wieder der Gedanke der Hybris präsent, denn dieser war, je länger der Krieg andauerte, der einzige, der die Leute noch einigermaßen und bekanntermaßen immer weniger bei der Stange halten konnte.

Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Reusmann, an meinen nachdenklichen Ausführungen, die eigentlich den Rahmen eines Grußwortes gesprengt haben, das bitte ich zu entschuldigen, erkennen Sie, dass Sie mit Ihrer Ausstellung, verstehe ich sie richtig,
den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Sie macht nachdenklich, und wir sollten uns dieser Nachdenklichkeit hingeben!
Mögen viele Besucher Ihre Werke ansehen und darüber nachdenken, wie vielleicht Mechanismen, die damals gewirkt haben, zutiefst Menschliches und auch heute in uns Schlummerndes ans Tageslicht gebracht haben und bringen können. – Und wir alle sollten
uns der Tatsache bewusst sein, welche Konsequenzen es hat, wenn Überheblichkeit zum Motor des eigenen Handelns wird. Sehr geehrte Damen und Herren: Es gibt für diese Ausstellung keinen besseren Ort als die Friedensstadt Osnabrück, und ich bedanke mich beim Erich Maria Remarque- Friedenszentrum, dass es diese Ausstellung in Osnabrück ermöglicht und unterstützt hat!
Ich wünsche Ihnen und uns allen einen intensiven Ausstellungsbesuch und viele interessante und nachdenkliche Gespräche darüber!

Vielen Dank.

Dr. Jens Martin

Ratsherr/Beigeordneter


Rede von Herrn PD Dr. Thomas Schneider anläßlich der Vernissage von HYBRIS im Erich Maria Remarque- Friedenszentrum am 18.08.2016

 

Hybris

Fotoarbeiten zu Krieg und Militarismus von Harald Reusmann

 

Harold Lasswell, der große Analytiker und Theoretiker der Propaganda im Ersten Weltkrieg, benannte 1927 in seiner grundlegenden Studie Propagandatechnik im Weltkrieg, fünf Grundzüge der Propaganda, wie sie in diesem ersten modernen Krieg teilweise erstmals zur Anwendung gekommen oder perfektioniert worden waren. Danach reichen zur Denunzierung des Gegners aus:

  • ihn zu diffamieren, indem man ihm Alkoholismus oder Vergewaltigung vorwirft,
  • ihn zu dämonisieren, indem man ihm Gewalt gegen Kinder, Arme oder gläubige Minderheiten unterstellt,
  • die Verantwortung zu kanalisieren, indem man politische Vorgänge auf Einzelpersonen reduziert
  • ihn zu mythologisieren, indem man ihn als Vernunftgründen einfach nicht zugängliche Spielernatur zeichnet
  • und schließlich, indem man ihn als Tier entmenschlicht, ihn der menschlichen Rasse nicht zugehörig klassifiziert.

Unschwer werden Sie, meine Damen und Herren, Parallelen zur aktuellen Berichterstattung auch in seriösen Medien ziehen können: Der russische Präsident Putin scheint allein für die Politik der russischen Föderation verantwortlich zu sein, ebenso wie der türkische Präsident Erdogan allein nach absolutistischen Regierungsprinzipien agiert wie Ludwig XIV. Spätestens seit Sylvester sind alle nordafrikanischen Migranten potentielle Vergewaltiger, die dann selbstverständlich aus nunmehr sicheren Herkunftsländern stammen. Oder islamische Gesellschaften unterdrücken stereotyp grundsätzlich christliche Minderheiten. Und eine perfekte Spielernatur im obigen Sinne war für deutsche Medien der griechische Finanzminister Varoufakis.

Eines der bekanntesten Beispiele für die entmenschlichende, tierische Darstellung des Gegners ist sicherlich das Plakat »Destroy this mad brute« des US-Amerikaners H.R. Hopps, auf dem ein Mandrill die amerikanische Küste betritt, bewehrt mit Pickelhaube, in der rechten Hand eine Keule mit der deutschen Aufschrift »Kultur«, im linken Arm die geraubte Unschuld Belgien mit entblößten Brüsten. Europa hat der deutsche Affe bereits zerstört hinter sich gelassen, um nun die USA anzugreifen. Daher der dringende Appell: »Enlist U.S. Army«.

Diese während des Erste Weltkriegs perfektionierte Entmenschlichung des Gegners als Tier zieht sich wie ein roter Faden durch die Propaganda-Geschichte des 20. Und 21. Jahrhunderts.

Und so begegnen wir heute Angela Merkel mit Schweinsgesicht, Vladimir Putin als Kleinstaaten sammelnde Krabbe oder gleich mit Rattennase. Donald Trump als Donald Duck oder als Elefant mit blonder Haartolle, Erdogan als Affe, der von seinem »Affenfelsen« Türkei mit langen Armen nach Europa greift, oder gleich als Wildschweineber mit blutigen Hauern oder als Kettenhund. Manche finden das offensichtlich so witzig, dass es den Weg in ein deutsches Schulbuch gefunden hat.

Einer zumindest findet das nicht witzig, denn die Ebene der Karikatur wurde bereits mit dem die „Kulturkeule“ schwingenden deutschen Affen verlassen, und deshalb die heutige Veranstaltung: Der Photograph und Künstler Harald Reusmann aus Essen.

Bereits in dem gemeinsam mit Frank Wolf so erfolgreich 2013/14 realisierten Projekt „Ypern mon amour“ hatte sich Harald Reusmann in Photomontagen und Skulpturen mit der Bild-Propaganda im Ersten Weltkrieg auseinandergesetzt, nach den Prinzipien und Wirkungsweisen dieser Propaganda gefragt und sie persifliert, gewissermaßen mit den eigen Mitteln geschlagen.

Mit »Hybris« legt Harald Reusmann nun eine neue, umfangreiche Arbeit vor. Ausgehend vom grundlegenden Prinzip moderner Propaganda, den Gegner in Tiergestalt zu entmenschlichen, und inspiriert von der Weltkriegspropaganda und ihren Produkten, die Sie in einer der Vitrinen sehen können, fragt »Hybris« nun eindringlich nach dem Zusammenhang von menschlichem Verhalten im Krieg, nach der Auswirkung der Tatsache, in eine Uniform gesteckt worden zu sein, auf den menschlichen Charakter, indem er Soldaten nun tatsächlich in unterschiedlichster Tiergestalt in Uniformen steckt.

Das erinnert auf den ersten Blick an große Illustratoren wie Grandville oder Gustave Doré, geht aber doch weit über die Tiere in Menschengestalt in den klassischen Fabeln der Weltliteratur hinaus.

Harald Reusmann bezieht sich dabei konkret auf die historischen Vorlagen der Bildpropaganda der Zeit vor und während des Ersten Weltkrieges, in der der Feind von allen Parteien zum Tier visuell erniedrigt wurde, um so den eigenen Kriegseinsatz zu rechtfertigen. Historische Beispiele finden Sie in den Vitrinen.

Aber das zunächst harmlos und possierlich Wirkende entpuppt sich schnell als derart ernsthaft, dass einem das Lachen oder Schmunzeln im Halse stecken bleibt. Offensichtlich und plakativ in der Arbeit mit dem schön doppeldeutigen Titel »Frontscheibe«, das auch auf dem Umschlag des Kataloges zu sehen ist: Zerplatzte Mücken-Soldaten auf einer Windschutzscheibe. Oder subtiler die aufgespießten Käfersoldaten im Triptychon »Eroberung von Kaiser-Wilhelms-Land« (was einige unter ihnen wiederum an den passionierten Käfersammler Ernst Jünger erinnern mag). Oder makaber, wenn Reusmann mumifizierte Tiere verwendet wie im Großbild »Quadriga« oder in »Schach 2«.

Harald Reusmann hinterfragt somit diese Vorgehensweise der Entmenschlichung, die keinesfalls auf den nun 100 Jahre zurück liegenden Krieg beschränkt blieb, sondern auch in der aktuellen Propaganda seine Fortsetzung findet.

Doch damit nicht genug, denn Reusmann kontrastiert seine Bilder mit den Erfahrungswelten der Betroffenen, wie sie in französischen und deutschen Postkarten aus und nach dem Ersten Weltkrieg überliefert sind. Diese Postkarten, als Faksimiles den Tiermotiven hinterlegt und in Transkription und Übersetzung beigegeben, bilden demnach die Folie, auf die und gegen die die zu Tieren verfremdeten Krieger projiziert werden.

Zugleich aber offenbart sich in den Texten der Postkarten die buchstäbliche Sprachlosigkeit der Soldaten und der daheimgebliebenen Zivilisten, die eben gerade nicht über die Schrecken berichten, sondern in Alltäglichem verharren: »Einen herzlichen Gruß an alle« schickt Prosper am 30. Juni 1916 von der Front an »Mademoiselle Marie«, die er liebt. Oder Frida schreibt an den Grenadier Uhlig: »Wie geht es Dir? Hoffendlich [mit D] ebenso gut wie mir. Schreibst Du mir bald wieder? Hier ist nichts neues. Was passiert bei Euch?« Mit herzlichen Grüßen und Küssen dann noch ein »Auf Wiedersehn«.

Diese Hilf- und Sprachlosigkeit mag oberflächlich erheitern, dann verstören, und schließlich entsetzen, wenn Jaekel aus Galizien im Oktober 1915 sich zunächst darüber beklagt, dass der Kümmel »bald alle« sei und dann schließt: »Ach wären wir erst wieder daheim«. Das Bild dazu: Ein von einem Säbel aufgespießter Käfer mit Pickelhaube. Mehr ist dann dazu auch nicht zu sagen.

Harald Reusmann stellt unser Bild des Krieges somit mehrfach in Frage. Er verwandelt Soldaten in Tiere, er verweist auf die Entmenschlichung im Krieg, und er betont die Sprachlosigkeit angesichts des Schreckens.

Und der Betrachter muss schon genau hinsehen, um den – eine weitere Ebene! – Humor und Sarkasmus zu entdecken, der sich im Detail der Bilder Harald Reusmanns versteckt, wodurch alles wieder ins Wanken gerät und der Künstler sich selbst und sein Werk kommentiert.

In Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues resümiert der Erzähler Paul Bäumer seine Erfahrung des industrialisierten Krieges angesichts von Trommelfeuer, Stellungskrieg, Angriff, der sich mit Gegenangriff ablöst: »Aus uns sind Menschentiere geworden.«

Das ist der Kern, der Urgrund der Arbeit von Harald Reusmann, und stellt damit das Prinzip der Propaganda auf den Kopf. Denn er fragt den Betrachter, welche Schlüsse daraus gezogen wurden und zu ziehen sind und womit dieser Kern übertüncht werden sollte und weiterhin übertüncht wird – die Hybris, die diesen eindrucksvollen und komplexen Arbeiten ihren Titel gab.

 

Thomas F. Schneider, Erich Maria Remarque-Friedenszentrum Osnabrück